Fahr vorsichtig!

Gute Besserung!
Ich freue mich auf dich.
Einfach so, weil ich gerade an dich gedacht habe.
Schön, dass es dich gibt.
Ich bin für dich da.
Pass auf dich auf.

Und so weiter. Alles Worte, die wir mehr oder weniger häufig zu Menschen sagen, die uns wichtig sind. Zu anderen Menschen. Aber nie zu uns selbst. Nicht, dass ich jemanden zu Selbstgesprächen animieren wollte (obwohl, oft sind es die Stimmen ausserhalb meines Kopfes, die mich am meisten irritieren). Ich finde nur, dass wir uns ein bisschen mehr Aufmerksamkeit schenken dürften. Nicht in Form von Mitleid. Nicht keiner-ist-so-arm-wie-ich-und-ich-kann-gar-nichts-für-irgendwas. Aber uns ernstnehmen. Zuhören. Trösten, wenn’s grad einfach scheisse läuft. Dinge tun, die sich gut anfühlen, auch wenn die grosse weite Welt vielleicht nichts davon hält. Selbstmitgefühl zeigen.
Das fällt nicht nur uns diagnostiziert Gestörten schwer. Das fällt so ziemlich jedem Menschen schwer, den ich kenne. Ich soll es trotzdem lernen. Ich will es ja auch lernen. Noch stehe ich ganz am Anfang. Noch ist da vor allem Wut.
Wut? Ja, Wut. Die passt auf den ersten Blick nicht dazu. Aber irgendwie eben doch. Was ich da lernen soll, wurde mir – und ganz sicher nicht nur mir – schon ganz früh ausgetrieben. Kinder können sowas ja noch. Kleine Kinder sagen, was sie wollen, lautstark und nervig für uns Erwachsene, aber sie sagen es. Sie nehmen sich ernst. Aber irgendwann werden sie älter, und es wird vernünftiges Handeln erwartet. Leistung. Erfolg. Anpassung. Wir suchen eine dienstleisungsorientierte Persönlichkeit, für die das Wohl unserer anspruchsvollen Kundschaft stets im Zentrum ihres Handelns steht. Tja. Dann sucht ihr wohl nicht mich. Ich mag nämlich nicht alle Menschen. Ich bin nicht jeden Tag freundlich. Ich will mich nicht nach Dienstleistungen ausrichten. Und wie anspruchsvoll die Kundschaft ist, interessiert mich herzlich wenig; ich habe keine Lust mehr, mich selbst zu verkaufen, damit die werte Kundschaft was kauft.
Aber dies nur als Beispiel dafür, wie diametral Selbstmitgefühl und gesellschaftliche Normen sind. Vor ein paar Jahren habe ich irgendwo folgenden Satz aufgeschnappt: Du musst es dir erstmal leisten können, dich selbst zu verwirklichen. Vor ein paar Jahren habe ich mir nichts dabei gedacht. Vor ein paar Jahren fand ich sowas zum Kotzen und habe genau damit darauf reagiert. Ende.
Heute macht mich dieser Satz traurig. Ich will mich nicht so lange verbiegen müssen, bis ich es mir leisten kann, ich selbst zu sein – und mich dann nicht mehr finde, weil die letzte Begegnung einfach zu lange her ist.
Ich weiss zwar noch nicht, wer ich bin, aber ich weiss, was ich will.
Schreiben. Natur. Freiheit. Liebe. Genauso offen über psychische Erkrankungen sprechen können wie über Beinbrüche. Oder Teesorten. Menschen helfen, die genau das nicht können. Für Andere da sein, ohne mich selbst zu vergessen. Gefühle zeigen dürfen, ohne per Blick zensiert zu werden. Du kannst dich doch nicht so aufregen, nur weil jemand was gegen die Homoehe sagt. Scheisse, doch, natürlich kann ich! Und ich will, dass meine Wut akzeptiert wird.
Willkommen in Utopia, ich weiss. Aber ich kann bei mir anfangen. Wenn ich meine Gefühle schon nicht akzeptiere, wie sollen es dann Andere tun?

In diesem Sinne: Gute Besserung, liebes Ich. Wir sind nämlich gerade ein bisschen erkältet und finden das doof. Ich mach uns dann mal einen Tee.

2 Antworten auf “Fahr vorsichtig!”

  1. Liebe Elín,

    das hat jetzt gut gepasst! Warum?

    Ganz kurz vor Deinem Post hab ich an Dich gedacht und wollte Dich am liebsten irgendwie um eine „Kurznachricht“ bitten (wie Du das selbst mal genannt hast), Dich fragen, wie es Dir geht. Dann hab ich geschaut, wann ich selbst zum letzten Mal hier „teilgenommen“ habe (und nicht nur stumm Anteil) und mich geniert und daher lieber zum Warten entschlossen. Tja, der Erklärbär vor der Nase…

    … sorgt zu oft dafür, dass ich nicht fertig werde beim Niederschreiben meiner Gedanken zu Deinen Beiträgen – nein, eigentlich werde ich oft schon mit den Gedanken nicht fertig, finde sie möglicherweise missverständlich, möglicherweise deplaziert, möglicherweise eingebildet, zu theoretisch und daher ebenso möglicherweise nichts Positives beitragend. Irgendwann erscheint es mir dann zu spät. Und so schlummern sie unfertig (mit anderen Halb-Elaboraten zu allem Möglichen) in einer App für Notizen, hinterlassen aber zumindest ein etwas tieferes Gefühl von Verbundenheit als das alleinige Mitlesen… (hoffentlich erscheint das jetzt nicht anmaßend).

    Jetzt möchte ich aber wenigstens zugeben, wie lebensbereichernd alle Deine Beiträge sind. Ist Dir eigentlich mal die Idee gekommen, wie hilfreich die persönliche Schilderung der Innenwelt von BorderlinerInnen für uns Möchtegern-Normalos sein kann? Wie gut es ist, dass Du so verständlich und leicht nachzuempfinden darüber schreiben kannst, ohne dass man da noch etwas „übersetzen“ oder überhaupt ein besonderes Verständnis für die schwierigen Befindlichkeiten bei Borderline entwickeln müsste?

    Wahrscheinlich eine blöde Frage, denn es drängt Dich ja sicher nicht ohne Grund zum Schreiben. Und bei aller Therapie, die Du selbst in Anspruch nehmen musst, gibst Du so viel weiter, quasi als Normalo-Therapie, geradezu schon Lebensphilosophie, dass ich so unbeholfen mal Danke sagen wollte. Und dass ich alle Deine hier beschriebenen Gefühle sehr verständlich finde, nur traurigerweise für Dich halt oft zu wirkmächtig für einen unangestrengt-angepassten Alltag. Aber andererseits eben total normal…

    Was soll ich Dir nun wünschen? Dass Du das alles per Therapie immer noch besser in den Griff bekommst? Oder lieber, dass Du einen Alltag hinbekommst, der Dich möglichst einfach und unangefochten so sein lässt, wie Du bist? Und die passenden Menschen dazu? Es wird wohl eine Mischung aus beidem sein (müssen).

    Aber sei so wenig wie möglich wütend. Aus eigener Erfahrung: Das ist ziemlich ungesund und – habe ich den Verdacht – hat zu oft mehr mit einem selbst zu tun als mit dem oder denen, auf das oder auf die man wütend ist (bei mir sind es seit -zig Jahren diese besch… Gesellschaft, die so oder so hurende Politik, die Religionen, die ausgewiesenen, fast ausschließlich männlichen Psychopathen und alle Bewunderer solch großer Brüder, Macht, Ungerechtigkeit, Dummheit, Egoismus, Berechnung, Bereicherung, Manipulation, Unaufrichtigkeit, Lüge, instrumenteller Charme,… (Eine endlose Reihe!)

    Es ist wahr: Das Einzige, das dagegen hilft, ist Liebe und Selbstliebe. Dazu Natur, Freiheit, Wissenschaft, Philosophie, Musik, Kunst, Schreiben… Kreativität und Rezeption. (Diese Reihe ist trotz weniger Worte so viel länger in all ihren bzw. unseren Möglichkeiten!)

    Und daraus bezogen dann die Sicherheit, dass man nicht alle lieben wollen muss und auch nicht alles an sich selbst und auch nicht von allen geliebt werden wollen muss. Man macht dann die Erfahrung, dass doch genug Menschen damit viel mehr anfangen können, als mit gesellschaftlichen oder ökonomischen Normen – und das sind meistens die, die einem selbst auch gut tun und die einen nicht missionieren wollen (was ich in der obersten Reihe vergessen habe).

    Ja, vielleicht muss man (sich) das leisten können. Aber nicht viel mehr von der inneren Einstellung und seiner Persönlichkeit als „nur“ vom Geld her? Mir scheint die Aussage dieses Satzes gerade umgekehrt darin zu liegen, dass heute „Selbstverwirklichung“ mit „Sich etwas leisten“ verwechselt bzw. das so indoktriniert wird. Und ja, das entfremdet – von sich selbst und von anderen, von einem wahren Leben („Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ T. W. Adorno). Ich denke, man muss trotzdem (oder gerade deshalb?) reine „Show“ vom realen Leben trennen können. Das erleichtert einfach den Umgang miteinander. Und man sollte irgendwie hinkriegen, nicht als arrogant zu gelten, wo man nur lieber zurückhaltend ist…

    Apropos Musik: Was macht das Saxophon? Hier mal etwas Exotisches (Anzahl der Aufrufe!). Steve Jolliffe: Dark Lady aus „Journeys Out Of The Body“ https://youtu.be/Jo6fvc2znas

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  2. Hallo Elín,

    mich beschäftigt noch Dein „Ich weiss zwar noch nicht, wer ich bin, aber ich weiss, was ich will.“

    Magst Du genauer erklären, was Du unter „wer ich bin“ verstehst oder als solches fühlst bzw. nicht fühlst? Hat das zum Beispiel „nur“ mit noch nicht erreichten Lebenszielen oder -träumen zu tun, mit Deinem Platz in der Gesellschaft (gleich, welcher Definition) oder ist das mehr philosophisch oder psychologisch gemeint? Neigst Du eher der Idee zu, auf der Suche „nach Dir“ zu sein beziehungsweise Dich finden zu müssen oder eher der Vorstellung einer Selbsterschaffung, einer Autopoiesis?

    Sorry, wenn die Frage zu aufdringlich, zu existenziell ist – dann lösch meinen Kommentar bitte einfach weg.

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